die welt als entwurf
Bereits auf dem Klappentext des im gleichen Jahr 1991 wie analog und digital erschienenen Bandes die welt als entwurf weist Wolfgang Jean Stock einleitend daraufhin, dass die darin versammelten Texte ein substantiell bedeutsamer Teil von Aichers Oeuvre sind.
die welt als entwurf, 1991 (foto: andreas görres)
© ernst & sohn, berlin
In der Einführung (S. 12/13) führt er aus, dass Aicher „Orte gelungener Zusammenarbeit als ‚Werkstätten‘ bezeichnet. Hier wird nicht geplant und verwaltetet, sondern entwickelt und entworfen. Im Prozess von Überprüfung und Korrektur wird der Entwurf zum richtigen Ergebnis gesteuert. Dieses Prinzip der Steuerung in Alternativen erlaubt den beispielgebenden Beginn im Bestehenden. Es entstehen Modelle einer ‚Welt als Entwurf‘.
Otl Aichers Texte sind Erkundungen jener Welt. Sie gehören substantiell zu seiner Arbeit. In der Bewegung durch die Geschichte von Denken und Gestalten, Bauen und Konstruieren versichert er sich der Möglichkeiten, die Existenz menschlich einzurichten. Nach wie vor geht es ihm um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Zivilisationskultur herstellbar ist. Diese Voraussetzungen müssen erstritten werden gegen scheinbare Sachzwänge und geistige Ersatzangebote.
Otl Aicher streitet gern. So enthält dieser Band neben Berichten aus der Praxis und historischen Exkursen zu Design und Architektur auch polemische Einlassungen zu kulturpolitischen Themen. Mit produktivem Eigensinn streitet Aicher vor allem für die Erneuerung der moderne, die sich weitgehend in ästhetischen Visionen erschöpft habe. Noch immer sei der der „kultursonntag“ wichtiger als der Arbeitsalltag. Ohnehin lasse sich Ästhetik nicht auf Kunst reduzieren:
alles konkrete, alles wirkliche hat ästhetische relationen. die kunst als reine ästhetik läuft sogar gefahr, von den ästhetischen nöten der wirklichen welt abzulenken. in keinem fall darf es verschiedene ästhetische kategorien geben, eine reine und ein alltägliche. wir können ja auch nicht in der moral unterscheiden zwischen einer der religion und einer des alltags.
Design als Lebensweise an Stelle von Design als Kosmetik: Otl Aicher vertraut auf die Schulung der Sinne. Sein Lebenswerk bürgt dafür, daß dieses Vertrauen modern bleibt.“
Im Kapitel bauhaus und ulm (S. 90) verweist Otl Aicher auf die prägenden Einflüsse und die daraus abgeleiteten Ansprüche aus seiner Tätigkeit als Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Ulm:
damals in ulm mußten wir zurück zu den sachen, zu den dingen, zu den produkten, zur straße, zum alltag, zu den menschen. wir mussten umkehren. es ging nicht etwa um eine ausweitung der kunst in die alltäglichkeit, in die anwendung. es ging um gegenkunst, um zivilisationsarbeit, um zivilisationskultur.
Im Kapitel die welt als entwurf (S. 185) führt er uns in seine Sicht der Welt ein:
man kann die welt sehen als einen stetig vorgegebenen kosmos, einen gegebenen zustand, in den wir eingebunden sind. so hat es das christliche mittelalter gesehen, aber auch die englischen empiristen.
man kann die welt verstehen als prozeß der entwicklung, in die man hineingeboren ist. dann ersetzt man ein statisches modell durch ein kinetisches. so lernen wir die welt sehen seit lamarck und darwin, und so belieben wir sie heute zu sehen unter dem einfluß des behaviorismus und der verhaltensforschung.
und man kann die welt verstehen als entwurf. als entwurf, das heißt als produkt einer zivilisation, als eine von menschen gemachte und organisierte welt. dann ist sie, auch bei vorgegebener natur, eine welt von entwürfen und auch fehlentwürfen, und die natur wird teil dieser welt und muß sich ihr fügen.
noch für goethe war die welt eine solche von natur und geschichte, und der philosoph aus königsberg ließ für die philosophie nur zwei domänen gelten: die domäne der natur und die domäne der freiheit.
tao-Fazit: Wer sich einen Überblick über den geistigen und philosophischen Kontext und die Entwicklungsgeschichte des Design und der vielfältigen Gestaltungsentwürfe Aichers verschaffen möchte, sollte sich zuerst mit diesen beiden Werken befassen (S. 190f):
die welt, in der der mensch bislang lebte, war die ihn umgebende natur, der kosmos, in dem er stand, und philosophie war die frage, wie wir mit diesem kosmos verbunden sind.
erst seit etwas mehr als einem Jahrhundert beschäftigt sich die philosophie mit den organisationsformen des gesellschaftlichen lebens, darunter den wirtschaftlichen bedingungen seiner existenz. es gibt eine philosophie der arbeit, eine philosophie der produktion, eine philosophie der technik gibt es nicht. keine philosophie, wie technik entsteht, entworfen, organisiert, vermarktet wird und verantwortet werden kann. wir gefallen uns in einer philosophie der erkenntnis und des wissens. eine philosophie des machens und des entwurfs steht aus.
der mensch ist umstellt nicht mehr von natur und welt, sondern von dem, was er gemacht und entworfen hat. gleichwohl wird das machen herabgesetzt. ein denker ist etwas besseres als ein macher, wer organisiert, ist mehr als wer produziert, der manager ist mehr als der ingenieur, die universität ist mehr als die technische hochschule, der bankier ist mehr als der fabrikant. ein handwerker ist ohnehin abgehängt. und wer gar selbst sein gemüse zieht, wird belächelt, man kann es doch kaufen.
auf hegel und marx geht zwar das heute allgemeine bewußtsein zurück, daß der mensch mitglied der gesellschaft erst wird durch sein handeln und seine tätigkeit. aber zwischen tätigkeit, arbeiten und machen sind essentielle unterschiede, die meisten menschen haben nur einen job, aber keine arbeit mehr, und von dem, der arbeitet, ist noch lange nicht gesagt, daß er etwas macht. machen ist ein selbst zu verantwortendes tun, an dem jemand mit konzept, entwurf, ausführung und überprüfung beteiligt ist. das, was er macht, steht unter seiner kontrolle und verantwortung und ist teil seiner selbst, machen ist die verlängerung des ich in die selbstorganisierte welt hinaus, im machen erfüllt sich die person. und dies in dem maße, als ein eigenes konzept, ein eigener entwurf beteiligt ist und in einer ständigen rückkoppelung aus dem machen erkenntnisse gewonnen werden für die korrektur von konzept und entwurf.
nur das schöpferische machen ist wirkliche arbeit, ist entfaltung der person. der entwurf ist das signum der kreativität, durch ihn wird aktivismus und job erst human. eine humane welt setzt eine arbeit und ein machen voraus, die durch den entwurf gekennzeichnet sind, weil im entwurf das motiv der person erscheint.
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